Der Wortstamm „ACHT“ findet sich auch in „Acht geben“ oder „sich in Acht nehmen“. Der Wortstamm geht zurück auf das gotische „AHA“, das mit Sinn und Verstand gleichgesetzt ist. Martin Heidegger schrieb von „Seinlassen des Seienden“ im Sinne von „den Dingen ihr eigenes Recht lassen.
Tatsächlich hat Achtsamkeit damit zu tun, allem was uns ausmacht wieder einen bewussten Platz zu geben. Achtsamkeit ist viel mehr in unserem Leben integriert, als wir denken.

Unserem Handy schenken wir viel Achtsamkeit.
Alle Augenblicke berühren wir es und werfen einen Blick auf den Bildschirm.
Den Nachrichten schenken wir viel Achtsamkeit.
Jede Katastrophe nehmen wir wahr.
Unserem Streben schenken wir viel Achtsamkeit.
Wir wollen alles richtig machen.
Unserem Vergnügen schenken wir Achtsamkeit.
Jede freie Minute füllen wir mit Aktivitäten aus um alles „sinnvoll“ zu nutzen.
Vielen Dingen unseres Lebens schenken wir unsere Achtsamkeit.
Aber wohin richten wir unsere Achtsamkeit?
Gibt es ein Ungleichgewicht und besteht eine Einseitigkeit?
Haben wir etwas (uns) verloren?
Dürfen wir unserer Achtsamkeit eine neue Richtung geben?
In der inflationären Vielfalt der Sinneseindrücke unseres täglichen Alltags und der Medienpräsens verlieren wir die Qualität des Augenblicks, die bewusste Wahrnehmung dessen was ist, das wertvolle Innehalten, das erfüllte Erfahren.
Die alles zudeckende Normalität des Seins entbehrt scheinbar der Notwendigkeit unserer Aufmerksamkeit. Dies führt zu einer Oberflächlichkeit der Wahrnehmung.
Merken wir, was wir dadurch verlieren?
Wird unsere Wahrnehmung durch das immer MEHR immer WENIGER?
Sehen wir den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäume nicht mehr?
Sind wir blind geworden, gegenüber dem zauberhaften Märchen, dass unser Leben ausmacht?
Ist es wichtig, dass wir die Achtsamkeit wieder neu definieren und uns auf eine Entdeckungsreise machen, zu all dem, was wir wieder wertschätzend wahrnehmen dürfen?
Durch einfache Achtsamkeitsübungen können wir uns wieder auf den Weg machen, Achtsamkeit neu zu erleben:
Sich Zeit nehmen („dem Alltag Zeit stehlen“)
Nehmen sie sich bei dieser Übung für alles was sie tun, die doppelt Zeit.
Versuchen sie aber, keine Zeit übrig zu haben, sondern füllen sie ihr Tun mit der Zeit aus.
Wenn sie also ein Stück des Weges zurück legen, so laufen sie langsamer. Wenn sie die Zähne putzen, bewegen sie die Bürste langsamer (nicht doppelt so oft). Wenn sie essen, planen sie doppelt so viel Zeit ein und essen sie nur (nicht dabei unterhalten, lesen oder sonst etwas tun).
Spüren sie, was diese Übung mit ihnen macht. Wie geht ihr Atem, wie fühlt sich ihr vegetatives Nervensystem an? Wie entspannt sich ihr Körper?
Blind sehen („es ist gibt so viel zu beschreiben“)
Zu dieser Übung gibt es zwei Varianten.
In der ersten Variante sind sie allein. Sie stellen sich an eine Stelle in Ihrer Wohnung, in die Natur oder wo auch immer und schauen an der Stelle, an der sie stehen, kurz um.
Anschließend schließen sie die Augen und beschreiben jetzt (im Handy oder Tonband aufnehmend), was sie gerade gesehen haben. Bei dieser Übung geht es nicht darum, die Realität möglichst originalgetreu abzubilden, sondern vielmehr darum, eine innere Vorstellung von dem wahrzunehmen, was uns umgibt.
Dies kann auch von einer objektiven Wahrheit abweichen.
Lernen sie bei dieser Übung etwas über ihre innere Vorstellung von den Dingen und über ihre inneren Bilder.
In der zweiten Variante brauchen sie einen Partner, der sich mit Ihnen in dieser Übung auf die Entdeckungsreise macht.
Ihr Partner hat jetzt die Aufgabe, ihnen (sie haben die Augen dabei geschlossen), die Welt um sie herum zu beschreiben. Sie sehen durch die Worte des Anderen und nehmen ihr Umfeld so wahr.
Diese Übung ist für Beide eine Herausforderung. Für den Beschreibenden, Worte zu finden, und für den Hörenden, eine Vorstellung vom Gesagten zu entwickeln.
Wärme und Stofflichkeit spüren („was bist Du“)
In dieser einfachen Übung geht es darum, welche Temperatur die sie umgebenden Dinge, Materialen, Menschen haben. Sie können hierbei auch die Augen schließen, um noch intensiver zu spüren. Gehen sie auf Entdeckungsreise, die Stofflichkeit und die Beschaffenheit dessen, was sie umgibt, neu zu entdecken. Entwickeln sie eine Neugier darauf, wie sich alles anfühlt.
Stillhalten („so viel…“)
Halten sie in einer beliebigen Situation ihres Lebens mindestens 10 Minuten inne, ohne, dass sie etwas tun. Erlauben sie sich jetzt, die Vielfalt des sie Umgebenden wahrzunehmen. Achten sie auf die kleinen Dinge oder auch auf das NICHTS, die Leere (die sich wahrscheinlich gleich in Fülle verwandelt). Wenn sie in der Natur sind, bekommen sie eine Ahnung davon, wie viel Leben sie umgibt. Wenn sie in ihren Räumlichkeiten sind, nehmen sie wieder alles neu wahr. Werden sie Entdecker für die Vielfalt dessen, was sie umgibt. Geben sie allem wieder einen Platz.
Mit weniger mehr schmecken („viel mehr…“)
Haben sie schon einmal nach einer Fastenkur wieder einen ersten Apfel geschmeckt?
Dieser birgt in sich alle Geschmacksparadiese dieser Welt und schmeckt unvergleichlich gut.
Denselben Apfel essen sie vielleicht einen Monat später, ohne etwas Vergleichbares wahrzunehmen.
Bei dieser Übung nehmen sie ein sehr kleines Stück Schokolade und lassen sie es im Mund schmelzen.
Führen sie keine Kaubewegungen aus und halten sie die Schokolade so lange wie möglich im Mund. Schmecken sie jetzt intensiv und lassen sie sich von der Vielfalt dessen, was in dem kleine Stück Schokolade an Geschmack vorhanden ist, überraschen. Bekommen sie eine Ahnung davon, was an geschmacklichen Erlebnissen noch auf sie wartet.
Mit den oben genannten Übungen gehen sie auf Entdeckungsreise, ihr Umfeld neu wahr zu nehmen.
Ebenso kann es wichtig sein, Achtsamkeit dem gegenüber zu bringen, was wir tief in unserm Inneren auch sind, und was vielleicht durch die Rolle, die wir in unserem Leben eingenommen haben, nicht mehr sein darf.
Sigmund Freud spricht von dem „ES“ das verdrängt und negiert wird. Im systemischen Kontext sprechen wir vom „INNEREN KIND“.
Das innere Kind steht für unsere Sehnsüchte, Wünsche und inneren Erfülltheit.
Achtsamkeit uns selbst gegenüber hat damit zu tun, unseren inneren Anteilen einen Platz zu geben.
Dazu brauchen wir Bewusstsein und die Ehrlichkeit, uns so wahrzunehmen, wie wir (eigentlich) sind.
Es bleibt eine permanente Aufgabe, der Konditionierung durch unsere Umwelt (Familie, Beruf, Freunde) das ICH gegenüber zu stellen.

„Du kannst mich nur ganz haben, mit allem was ich bin“, sagt der Teilnehmer in einer systemischen Aufstellung und gibt damit die Aufgabe der Achtsamkeit seinem Gegenüber. „Ich bin nicht dafür da, deinen Vorstellungen zu entsprechen“ und ist so frei, sich anzunehmen, mit allem was ist.
Für unsere inneren Anteile bedarf es einer achtsamen Wahrnehmung.
Diesen Anteilen einen guten Platz in unserem Leben zu geben, bedarf auch der Bereitschaft, dafür zu kämpfen. Achtsamkeit bleibt so (im positiv egoistischen Sinne) eine Aufgabe.
Viel leichter kümmern wir uns im Leben um Andere als um uns selbst.
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machen sich die Teilnehmer auf dem Weg, dem Märchenhaften im Leben wieder einen achtsamen Platz zu geben.
Vieles darf hier wiederentdeckt werden.
Sehr viel betrifft unsere sinnliche Wahrnehmung von Berühren, Schmecken, Riechen, Hören und Sehen.